Urteil Recht der Architekten und Ingenieure

Widersprüchliche höchstrichterliche Rechtsprechung zur Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI nach EuGH- Urteil im Juli 2019

EuGH, Urteil vom 04.07.2019, Az. C-377/17; OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019 - 21 U 24/18; OLG Celle, Urteil vom 23.07.2019 - 14 U 182/18; KG Berlin, Beschluss vom 19.08.2019 -- 21 U 20/19

1. EuGH, Urteil vom 04.07.2019

Über die Frage, ob die Mindest- und Höchstsätze der HOAI verbindlich seien, herrscht in der Rechtsprechung weiterhin keine Klarheit. Auslöser dessen ist das Urteil des EuGH (EuGH, Urteil vom 04.07.2019 – Az. C-377/17), in dem die Pflicht zur Einhaltung der Mindest- und Höchstsätze der HOAI für unionsrechtswidrig erklärt wurde. Die Höchst- und Mindestsätze seien mit EU-Recht, konkret mit den Vorgaben der Dienstleistungsrichtlinie, nicht vereinbar.

2. OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019

Für eine weiterhin geltende Verbindlichkeit der Höchst- und Mindestsätze spricht sich das OLG Hamm mit Urteil vom 23.07.2019 - 21 U 24/18 aus. Nach dem Urteil des OLG Hamm seien – solange die HOAI keine Änderung durch den Gesetzgeber erfahre - die Mindest- und Höchstsätze weiterhin verbindlich. Das im Vertragsverletzungsverfahren ergangene Urteil des EuGH binde schließlich lediglich den Mitgliedsstaat.

3. OLG Celle, Urteil vom 23.07.2019

Anders das OLG Celle (Urteil vom 23.07.2019 - 14 U 182/18): Die nationalen Gerichte sind aufgrund des Anwendungsvorbehalts des Europarechts dazu verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärte Verbindlichkeit der Höchst- und Mindestsätze nicht mehr anzuwenden. Ferner hätten deutsche Gerichte auch vor dem Hintergrund der Unionstreue die Pflicht, die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts und die Rechtsauffassung des EuGH in ihrer Auslegung zu berücksichtigen.

4. KG Berlin, Beschluss vom 19.08.2019

Mit Beschluss vom 19.08.2019 -- 21 U 20/19 schließt sich das Kammergericht Berlin der Rechtsauffassung des OLG Hamm an. Die Mindest- und Höchstsätze des HOAI seien nach wie vor verbindlich. Zwar sei das Europarecht bei der Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen, jedoch sei die Frage, „wie“ das Europarecht zu berücksichtigen ist, nur nach Europarecht zu beurteilen. Gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV haben Europäische Richtlinien grundsätzlich in Mitgliedsstaaten keine unmittelbare Geltung bzw. horizontale Direktwirkung. Deshalb sind die Mindest- und Höchstsätze weiterhin verbindlich.

5. Zwischenstand

Es bleibt abzuwarten, welche der vorgenannten Rechtsaufassungen sich durchsetzen wird. Beide Ansichten sind gut vertretbar. Das OLG Dresden hat mit Beschluss vom 08.02.2018 – 6 O 1751/15 die Frage nach der Verbindlichkeit der Höchst- und Mindestsätze in einem konkreten Verfahren im Wege des sog. Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt.


Johannes Scholz
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht