COVID-19-Pandemie
Rechtlichen Auswirkungen auf die Abwicklung von Bauvorhaben

RA F. Behrend und RA J. Scholz, jeweils Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

1. COVID-19-Ausbruch

Anfangs hat Europa den Ausbruch des neuen Corona-Virus (SARS-CoV-2) in China aus vermeintlich sicherer Entfernung beobachtet. Mit Erstaunen haben die Medien über die Errichtung eines ganzen Krankenhauses innerhalb von 10 Tagen berichtet. Mittlerweile hat die COVID-19-Pandemie weite Teile der Welt fest im Griff. Europa ist besonders betroffen.

In Italien und in Spanien ist das öffentliche Leben gänzlich zum Erliegen gekommen. Am Freitag, den 13.03.2020 wurde verkündet, dass in Deutschland ab Dienstag, den 17.03.2020 Schulen und Kitas vollständig geschlossen werden. Eine Notbetreuung für Eltern in versorgungskritischen Bereichen wurde angekündigt. Öffentliche Einrichtungen wie Schwimmbäder, Bibliotheken und Museen sind bereits ebenso wie Bars und Nachtclubs geschlossen. Nachdem einige europäische Länder Grenzschließungen verkündet haben, gab das Innenministerium am Sonntag, den 14.03.2020 bekannt, dass ab Montagmorgen, 8:00 Uhr der Grenzverkehr zu Frankreich, Österreich und der Schweiz stark eingeschränkt wird. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass auch in Deutschland Einschränkungen der Bewegungsfreiheit behördlich angeordnet werden, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.

Fest steht bereits jetzt, dass auch die Bauwirtschaft die negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu spüren bekommen wird. Von Schwierigkeiten bei der Materiallieferung über Liquiditätsengpässe bis hin zu Baustopps wegen Erkrankung einzelner am Bau Beteiligter wird es kurz– aber auch mittelfristig zu mannigfaltigen Problemen kommen, mit denen sich die Baubeteiligten auseinander setzen werden müssen.

2. Auswirkungen auf die Abwicklung von Bauprojekten

Die COVID-19-Pandemie wird sich im Ergebnis auch auf die Bauwirtschaft und insbesondere auf laufende Bauvorhaben auswirken. Bislang waren Epidemien oder gar Pandemien sowie Naturkatastrophen mit Auswirkungen auf weite Teile des Bundesgebietes in Deutschland unbekannt. Dies führt dazu, dass keine Rechtsprechung zu diesbezüglichen baurechtlichen Streitigkeiten existiert. Die Antworten auf die sich stellenden rechtlichen Fragen sind deshalb aus den allgemeinen Grundsätzen herzuleiten. Wie sich die Rechtsprechung im Einzelnen positionieren wird, bleibt abzuwarten.

Folgende Auswirkungen sind nach derzeitigem Stand nicht ausgeschlossen:

  • Lieferengpässe (Ziffer 2.2)
  • Personalengpässe (Ziffer 2.3)
  • Annahmeverzug des Auftraggebers (Ziffer 2.4)
  • Behördliche Anordnungen (Ziffer 2.5)

Hierzu finden Sie nachfolgend unsere derzeitigen rechtlichen Einschätzungen, wobei selbstverständlich die vertraglichen Festlegungen des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Zunächst wird man sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Geschehnisse rund um die COVID-19-Pandemie ein Fall höherer Gewalt ist. Der Begriff der höheren Gewalt ist im allgemeinen Sprachgebrauch verankert, hat rechtlich jedoch spezifische Anforderungen.

2.1 Höhere Gewalt

Der Begriff der höheren Gewalt wird vom BGH als ein „betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist“ definiert.

2.2 Lieferengpässe

Grundsätzlich fällt – sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist – die rechtzeitige Materialbeschaffung in den Verantwortungsbereich des Auftragnehmers. Kann der Auftragnehmer wegen Materialengpässen die von ihm geschuldete und fällige Leistung nicht erbringen, kommt er grundsätzlich in Verzug.

Anders liegt der Fall jedoch dann, wenn die Ausführungsfristen nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B verlängert werden. Dies ist dann der Fall, wenn die Behinderung durch höhere Gewalt verursacht ist. Ist der Auftragnehmer also deshalb behindert, weil er sein Material aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht rechtzeitig beschaffen konnte und zeigt er diese Behinderung gemäß § 6 Abs. 1 VOB/B an, können sich die Ausführungsfristen verlängern. Termine werden bei Vorliegen höherer Gewalt – wenn die formellen Anforderungen eingehalten wurden - also verschoben und sind gegebenenfalls neu zu vereinbaren. In diesem Fall kommt der Auftragnehmer nicht in Verzug, da seine Leistung aufgrund der Behinderung nicht fällig ist. Verzögerungsbedingte Schadensersatzansprüche des Auftraggebers nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB scheiden in diesem Fall wohl zumeist aus.

Es wird in jedem Einzelfall zu prüfen sein, ob die leeren Lagerbestände tatsächlich auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind oder schlicht eine mangelhafte Materialplanung des Auftragnehmers vorliegt.

2.3 Personalengpässe

Kann der Auftragnehmer die von ihm geschuldeten und fälligen Leistungen nicht mehr erbringen, weil Teile oder sogar der gesamte Betrieb unter Quarantäne gestellt werden, dürfte es sich in der Regel auch um einen Fall der höheren Gewalt im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B handeln. Auch dann können sich entsprechend der obigen Ausführungen unter Ziffer 2.2 die Ausführungsfristen verlängern. In diesem Fall würde ein verzugsbedingter Schadensersatzanspruch ausscheiden.

Fallen aufgrund des COVID-19 jedoch nur einzelne Arbeitskräfte eines Auftragnehmers aus, dürfte kein Fall der höheren Gewalt vorliegen. Mit üblichen krankheitsbedingten Ausfällen hat jeder Auftragnehmer zu rechnen. In diesem Fall dürfte keine Behinderung vorliegen, die zu einer Verlängerung der Ausführungsfristen führt. Es ist also immer eine Betrachtung des Einzelfalls erforderlich, um die rechtlichen Auswirkungen von krankheitsbedingter Personalnot beurteilen zu können.

2.4 Annahmeverzug des Auftraggebers

Probleme und Verzögerungen im Bauablauf können auch bei Personalengpässen des Auftraggebers auftreten. Ihn treffen bestimmte Mitwirkungspflichten und -obliegenheiten. So muss der Auftraggeber regelmäßig den Baugrund zur Verfügung stellen, öffentlich-rechtliche Genehmigungen beibringen und die Ausführungsplanung (durch seine Erfüllungsgehilfen) übergeben.

Unterlässt der Auftraggeber eine Obliegenheitshandlung, steht dem Auftragnehmer grundsätzlich ein Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB zu. Hierbei handelt es sich um einen sogenannten verschuldensunabhängigen Anspruch. Es spricht Einiges dafür, dass die personalbedingten Engpässe in Folge der COVID-19-Pandemie nicht beherrschbare Einflüsse sind, die nicht in die Mitwirkungssphäre des Auftraggebers fallen und damit keinen Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB auslösen. Unabhängig davon muss der Auftraggeber handlungsfähig bleiben. Auf Abnahmebegehren oder Fertigstellungsanzeigen muss er reagieren können. Sollte ein Auftraggeber aufgrund eigener Personalengpässe oder solcher seiner Erfüllungsgehilfen nicht mehr in der Lage sein, den Bauablauf zu koordinieren und zu überwachen, sollte für jeden Einzelfall geprüft werden, ob ein Baustopp sinnvoll ist und welche Auswirkungen dies hat. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass ein Baustopp von mehr als drei Monaten für beide Parteien zu einem Kündigungsrecht nach § 6 Abs. 7 Satz 1 VOB/B führt.

2.5 Behördliche Anordnungen

In Italien und Spanien wurde die Bewegungsfreiheit der Bürger zur Reduzierung der Übertragungsrate bereits stark eingeschränkt. Eine entsprechende Anordnung ist auch in der Bundesrepublik Deutschland denkbar. Es muss damit gerechnet werden, dass zeitweise auch im Bundesgebiet das Haus nur noch für zwingende Besorgungen verlassen werden darf. In einem solchen Fall würden sämtliche Baustellen abrupt zum Stillstand kommen. Die konkreten Folgen sind gegenwärtig nicht absehbar und sind für jede Baustelle gesondert zu betrachten. Fest steht jedenfalls, dass eine solche behördliche Anordnung ein Fall der höheren Gewalt im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B sein dürfte.

Um drohende Schäden bei plötzlichem Baustopp zu vermeiden, sollten sich alle Beteiligte auf entsprechende Szenarien so weit wie möglich vorbereiten. Nach Beendigung solcher behördlichen Anordnungen muss die Förderung des jeweiligen Bauvorhabens wieder im Fokus stehen.

3. Fazit

Zunächst ist festzuhalten, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Bauwirtschaft nicht abschließend vorhergesagt werden können.

Für wechselseitige Ansprüche in laufenden Bauvorhaben wird es entscheidend sein, ob und in welchem Umfang Einschränkungen eintreten. Die rechtlichen Folgen sind im Einzelnen zu bewerten. In Anbetracht der Lage dürfte es zu empfehlen sein, mit dem Vertragspartner in den Dialog zu treten. Allerding müssen auch hierbei die rechtlichen Rahmenbedingungen und etwaige Fristen Berücksichtigung finden.

Gern stehen wir Ihnen für Rückfragen und Beratungen zu Verfügung. Auch im Falle einer behördlichen angeordneten Einschränkung der Bewegungsfreiheit erreichen Sie uns wie gewohnt, da wir die technischen Voraussetzungen hierfür geschaffen haben.

15. März 2020

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